Wie wird behandelt?

Manuelle Therapie der oberen Halswirbelsäule

Bei der Manualtherapie von (Klein-)Kindern werden Behandlungsmethoden verwandt, die nicht mit dem landläufig bekannten „Einrenken“ vergleichbar sind. Es handelt sich um sanfte Impulstechniken mit kurzer Einwirkzeit bei minimaler Impulshöhe, wobei weder Verdrehungen des Halses noch starke Schübe (große Amplitude) erfolgen.

Unter den gebräuchlichsten Methoden ist die Therapietechnik nach Drs. Gutmann / Biedermannund die Atlastherapie nach Arlen möglich.
Die Techniken variieren im Detail, die Ergebnisse sind vor allem aber vom Handwerk (Handling) des einzelnen Arztes abhängig, weniger davon, welche Diplome er/sie vorweisen kann.

  1. Die durch Dr. Biedermann modifizierte Behandlung nach Dr. Gutmann bezieht die gesamten Kopfgelenke zwischen der Schädelbasis und C3. Der Impuls wird dreidimensional gesetzt, d.h. berücksichtigt werden links/rechts, vorne/hinten und die Richtung der eventuellen Drehfehler der beteiligten Wirbel. Somit können all diese Abweichungen erreicht und beeinflusst werden.
  2. Die Atlastherapie nach Arlen bezieht nur den Atlas ein und wirkt auch nur auf dieser Ebene in den möglichen Behandlungsrichtungen.

Die Ärzte Koch & Biedermann haben mit einem Ingenieur für Messtechnik (Girnus, Wehrtechnische Dienststelle der Bundeswehr in Eckernförde) die Kraft und Zeit gemessen, die auf die Strukturen der Wirbelsäule einwirken, wenn mittels Impuls behandelt wird. Für Säuglinge werden maximal 60 Newton*Sekunde, bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsene bis maximal 350 Newton*Sekunde angewendet [Koch, L. E., Biedermann, H. und Girnus, U. (1998): Kraftmessung bei Anwendung der Impulstechnik in der Chirotherapie. Manuelle Medizin: 36. 21 – 26].

Diese Technik nach Gutmann wird bei Erwachsenen <HIO – Technik> genannt. HIO kommt aus dem Golfen und bedeutet „hole in one“, also mit einem Schlag einlochen oder mit einem Impuls die ganze Geschichte richten.
Bei Erwachsenen wird hierbei der Patient ganz anders gelagert und behandelt als bei Säuglingen, somit ist nicht die Ausführung vergleichbar.

Zur Technik: Seitlich am oberen Hals direkt unter dem Hinterkopf wird der kurze Tuck appliziert.

Direkt nach der Behandlung kann man feststellen, dass sich die Beweglichkeit des Halsen und Kopfes verbessert hat. Das ist objektivierbar. Darüber hinaus werden verschiedene Reflexe ausgelöst, die von hier aus die Motorik und die allgemeine Steuerung (z.B. Schlaf/ Wachrhythmus) beeinflussen. Das wird bei der Kontrolle abgefragt und wenn möglich gemessen.

Die Behandlung ist weitgehend schmerzfrei, aber schon bei der Untersuchung selber sind Babies natürlich häufig nicht ohne Abwehr, so dass ein Protest möglich ist. Interpretieren sollte man das als Abwehr einer Irritation bei Schmerzvermeidungshaltung. Dass es sich hierbei nicht um große Schmerzen handeln kann, merkt man daran, dass sich die Kinder fast immer sofort wieder beruhigen, wenn sie der Mutter/ dem Vater zurück auf den Arm gegeben werden.

Als Reaktion bemerkt man oft eine unmittelbare Verbesserung des Gleichgewichts und eine relativ schnelle Entspannung der Haltemuskulatur. Man nimmt an, dass durch diesen Impuls, die im Nacken sehr zahlreichen und für die Haltung wichtigen Messfühler-Systeme angeregt werden. Eine Neuregelung des Körpers wird dadurch ermöglicht. Da man nicht die Wirbelkörper gegeneinander verschieben kann, ist die mechanische Erklärung am besten darzustellen mit einer in einem schiefen Gleitweg eingeklemmten Schublade, die man „freiruckelt“. Somit ist diese Behandlungsweise bei korrekter Ausführung praktisch gefahrlos und kann auch bei Säuglingen ohne Bedenken durchgeführt werden. Da sie eine deutliche Wirkung auf die Wahrnehmung und Steuerung hat, sollte aber nicht zu häufig behandelt werden.

Bei Säuglingen ist meist nur eine einzige Behandlung nötig. Laut Dr. Biedermann müssen maximal 15% der Säuglinge im ersten Jahr nochmals behandelt werden. Das vegetative System des Körpers braucht nach der Therapie Zeit, die Veränderungen zu verarbeiten. Deshalb sollte man 2-4 Wochen nach der Manual Therapie sonstige ‚stimulierende‘ Behandlungen oder Untersuchungen möglichst vermeiden. Dazu gehören z.B. Impfungen, intensivere Diagnostik, Osteopathie, aber auch krankengymnastische Behandlungen. Viel hilft viel ist hier nicht richtig. Diese Reaktionszeit kann unterschiedlich lange dauern und ist auch unter Umständen abhängig vom Befund und auch vom Alter des Patienten.
Nach dieser Zeit des Abwartens kann die Physiotherapie neu bewertet und ggf. dem erreichten Entwicklungsfortschritt angepasst und fortgesetzt werden.

Eine Routinekontrolle im Alter von drei Jahren sei ratsam, sagt Dr. Biedermann, ebenso nochmals vor der Einschulung. So können motorische Auffälligkeiten und Wahrnehmungsschwächen herausgefiltert werden, die in der normalen kinderärztlichen Vorsorge nicht selten übersehen zu werden.

Bei kurzen Rückfällen oder Verschlechterungen – z.B. im Rahmen einer Infektion oder eines Wachstumsschubes – muss man aber nicht jedes Mal erneut behandeln. Es scheint so, dass die Kinder in alte Muster eben für diese kurze Zeit zurückfallen. Nur wenn ein wiedergekehrtes asymmetrisches Muster länger als 2 Wochen auffällig bleibt, ist eine Kontrolle anzustreben.

Ist die Beweglichkeit einmal frei, kommt der Körper des Kleinkindes mit kleineren Belastungen meist ganz gut zurecht. Nach größeren Stürzen, aber auch nach Vollnarkosen kann eine Kontrolle sinnvoll sein, wenn dann wieder auffällige Haltungs- oder Bewegungsmuster auftreten und die Auffälligkeiten länger als 1-2 Wochen anhalten (siehe oben). Bei Kindern, in deren Verwandtschaft (Geschwister, Eltern, Großeltern) Wirbelsäulenprobleme wie Skoliose oder andere Fehlhaltungen bekannt sind, sollte eine regelmäßige Überwachung gewährleistet sein. Dies kann man meist in Verbindung mit der Krankengymnastik und dem Kinderarzt so organisiert werden, dass eine Vorstellung beim Spezialisten 1-2 Mal im Jahr ausreicht.

Hervorzuheben ist, dass die manuelle Therapie nicht andere Verfahren ersetzt, sondern dass sie oft erst die Grundlage schafft, auf der dann Ergotherapie, Krankengymnastik, INPP oder Psychomotorik effizient eingesetzt werden kann. Manuelle Therapie optimiert die Biomechanik (Gelenkfunktion, Muskelfunktion) und die zentrale Steuerung.

Manuelle Therapie der oberen Halswirbelsäule für Erwachsene

Ältere Kinder und Erwachsene zu therapieren ist zeitaufwendiger, weil die Wirbel in ihrer Fehlstellung meist schon lange fixiert waren und weitere Störfaktoren Einfluss gewinnen, sich also die Region nicht mehr so einfach behandeln läßt. Auch bei den älteren Patienten sollte man mit der Häufigkeit der Behandlung sehr zurückhaltend sein. Auch hier gilt, dass die Reaktion des Gesamtorganismus auf die Verbesserung der Beweglichkeit der oberen Wirbel-säule Zeit braucht, um zu wirken und deshalb abgewartet werden kann. Tägliche Behandlungen werden von den Schülern von Gutmann nicht empfohlen. Die Erfahrungen mit einer Behandlung, die nicht die Aktualität des Befundes beachtet, und alle möglichen Ansätze auf einmal behandelt, und am besten immer wieder, ist oft Grund für eine Chronifizierung der Beschwerden. Man spricht dann von einer iatrogenen behandlungsbedingten Verschlechterung. Auch von den meisten Atlastherapeuten sind zu häufige Behandlungen verlassen worden. Je nach Befund können die Behandlungsabstände mehrere Wochen bis Monate betragen.

Begleitend zur Normalisierung der Funktion der Kopfgelenke und des Übergangs Lendenwirbelsäule / Becken (unter Berücksichtigung der oben genannten Zeiten) werden auch die anderen Störungen an den Wirbelsäulen-Abschnitten zwischen den Achsenpolen untersucht und gegebenenfalls beseitigt. Dabei kommen viele verschiedene Behandlungsansätze in Frage, z.B. osteopathische Therapieformen, insbesondere „Weichteiltechniken“ wie „myofascial release“ oder „muscle energy technic“.

Manuelle Therapie der oberen Halswirbelsäule hilft bei:

  • HWS-Beschwerden
  • HWS-Schleudertrauma
  • Schwindel
  • Gleichgewichtsstörungen
  • Bewegungsstörungen (Spastik, Parkinson)
  • Chronischen Rückenschmerzen
  • Bandscheibenvorfall
  • Ohrgeräusche (Tinitus)

Aussicht und Empfehlung:

Mit einer routinemäßigen Untersuchung der Halswirbel von Babies (wie fürs Hüftgelenk üblich) könnte man sehr vielen Menschen ein guten Teil ihrer Kopf- und Rückenschmerzen im späteren Leben, aber auch weitergehende Probleme wie Verhaltensauffälligkeiten etc. ersparen. Es handelt sich hierbei also um eine hervorragende, wirtschaftliche und erfolgreiche Prophylaxe in der kinderärztlichen Diagnostik.

Aufgrund des Zeitaufwandes für Untersuchung und Behandlung arbeiten viele Ärzte, die sich auf diesem Gebiet spezialisiert haben, nur noch privat. Ob und wie viel die gesetzlichen Kassen von dieser Behandlung übernehmen, ist eine Frage der Kulanz- und des Verhandlungsgeschicks.